Notabene:
Helmut Reichmanns Buch "Streckensegelflug" enthält ab Seite 188 alles, was du über die Geschwindigkeitpolare wissen musst. Was ich hier hinzufüge, sind nur noch ein paar Schmankerl.

Die Geschwindigkeitspolare beschreibt die Leistungsfähigkeit deines Flugzeugs. Sie beschreibt ihrer Natur nach, wieviel Sinken dein Flugzeug hat, wenn du eine gegebene Geschwindigkeit fliegst, in ruhender Luft gemessen. Das ist aber nicht entscheidend, denn in dieser Situation wirst du fast nie fliegen. Entscheidend ist viel mehr, dass du aus der Polare ableiten kannst, wie schnell du in verschiedenen anderen Situationen fliegen musst, um dein Flugzeug optimal zu bewegen

  • bei steigender oder fallender Luftmasse
  • bei Rücken- oder Gegenwind
  • in Bodennähe oder in 6000 m Höhe,
  • in Bezug auf einen ortsfesten Punkt auf der Erde oder mitschwimmend in der windgetriebenen Luftmasse.

Optimal bedeutet immer - je nach Sitiation, entweder möglichst schnell oder möglichst weit.

 

Als ambitionierter Segelflieger musst du daher die Geschwindigkeitspolare in allen Aspekten kennen. Auf ihr beruhen alle Ableitungen der Sollfahrttheorie. Also lies Helmuts Buch !!

Als Helmut sein Buch schrieb, gab es Excel nur im Labor. Heute kann ich darauf zurückgreifen und ihr könnt davon profitieren.

Für verschiedene typische Polaren habe ich die Polaren so aufgearbeitet, dass man damit ein wenig spielen kann. Die Excel-Dateien dazu stehen im Download-Bereich zur Verfügung.Angepasste  Zeichnung der Polaren

Rechts siehst du eine Zeichnung der DG800-Polaren basierend auf meinem Flughandbuch. Die Zeichnung wurde nach links erweitert, so dass der Ursprung bei 0 km/h Fahrt auch zu sehen ist. Die Zeichnung deutet an, wie flach - mit welchem Gleitwinkel - ich fliegen kann.

Allerdings: Was du siehst, ist nicht der reale Gleitwinkel. Der ist viel viel flacher. Die Achsen der Zeichung haben waagerecht die Einheit [km/h], senkrecht jedoch die Einheit [m/s]. Du musst aber die beiden Achsen in der gleichen Polare mit  gleichnamigen Achsen in m/sEinheit haben, damit die Zeichnung ein korrektes Bild der Winkel hergibt. Mit Excel und leichter Gewalt kann man das leicht darstellen. Das sieht dann so aus.

Es ist sofort einsichtig, warum diese flache Darstellung nicht verwendet wird. Wer will darauf schon erkennen, wo welche Tangente an der Polaren anliegt. Aber eindrucksvoll, wie flach wir fliegen, ist das doch schon !! In Zahlen : Ein Gleitwinkel von 1:30 entspricht einer Bahnneigung von 1,9°, von 1:50 einer Bahnneigung von 1,14°. Wenn der Tisch vor dir so schief steht, wirst du es wahrscheinlich gar nicht merken.

 

Die Geschwindigkeitspolare ist eine feststehende Beschreibung der Leistung des Flugzeuges .... unter gegebenen physikalischen Randbedingungen. Der Nachsatz wird oft vernachlässigt.

Ein Aspekt dieser Aussage ist, dass die Skala der Fluggeschwindigkeit aus den Polarenschaubildern immer den True Air Speed zeigt.

Die von den Flugzeugherstellern oder der IDA-Flieg oder Dick Johnson veröffentlichten gemessenen oder gerechneten Polaren sind immer bezogen auf eine Flächenbelastung und eine Luftdichte. Die Referenzflächenbelastung wird meist mit angegeben, die Referenzluftdichte meist nicht, obwohl der Effekt verschiedener Luftdichten in der gleichen Größenordnung liegt wie der Effekt der verschiedenen Flächenbelastungen. Wenn keine Referenzluftdichte erwähnt ist zusammen mit der Polare, dann kannst du davon ausgehen, dass die Referenzluftdichte die Normalluftdichte auf Meereshöhe ist.

In Helmuts Buch auf Seite 140 wird erklärt, wie du die Referenzpolare umrechnen kannst auf die Polare, die deiner Flächenbelastung entspricht :

  • Sinken neu = Sinken alt * Wurzel ( neue Flächenbelastung / Referenzflächenbelastung )
  • Fahrt neu   = Fahrt alt   * Wurzel ( neue Flächenbelastung / Referenzflächenbelastung )

Wenn du diese Rechnung auf jeden Punkt der Polare anwendest, wird die Polare - angenommen die neue Flächenbelastung ist größer als die Referenzflächenbelastung - an der Tangente des besten Gleitens entlang gestreckt, unter der Annahme, die neue Flächenbelastung ist kleiner als die Referenzflächenbelastung, wird sie gestaucht. Du kannst das an der Zeichnung mit der DG800-Polare nachvollziehen. Da sind zwei Polaren für das gleiche Flugzeug, aber mit verschiedenen Flächenbelastungen.

Ähnlich (Re-Zahl-Effekte mal außen vor gelassen) verhält sich das auch, wenn man den Unterschied zwischen Referenzluftdichte und aktueller Luftdichte mit ins Kalkül ziehen will.

  • Sinken neu = Sinken alt * Wurzel ( Referenzluftdichte / neue Luftdichte )
  • Fahrt neu   = Fahrt alt   * Wurzel ( Referenzluftdichte / neue Luftdichte )

Der Vollständigkeit halber musst du die beiden Effekte zusammen betrachten.

  • Sinken neu = Sinken alt * Wurzel ( neue Flächenbelastung / Referenzflächenbelastung ) * Wurzel ( Referenzluftdichte / neue Luftdichte )
  • Fahrt neu   = Fahrt alt   * Wurzel ( neue Flächenbelastung / Referenzflächenbelastung ) * Wurzel ( Referenzluftdichte / neue Luftdichte )

Füllt man diese Formeln mit realen Zahlen ( Referenzflächenbelastung = 30 km/m2, aktuelle Flächenbelastung = 33 kg/m2 und Referenzluftdichte (15 ° auf MSL) = 1,255 kg/m3, aktuelle Luftdichte (20 ° bei 155 m NN) = 1,183 kg/m3 ), dann ergeben sich folgende Faktoren

  • Sinken neu = Sinken alt * 1,0488 * 1,0176
  • Fahrt neu   = Fahrt alt   * 1,0488 * 1,0176

Das ist ( 6,7 % ) schon eine Menge Veränderung. Und deshalb wird auch an vielen Stellen auf dieser WebSite auf den Wasserballast eingegangen.

Hier will ich darauf aufmerksam machen, dass wir durchaus auch unsere aktuelle Druckhöhe, in der wir uns beim Fliegen im Flachland bewegen, in Kalkül ziehen müssen. Betrachten wir den Luftdichtefaktor, wenn wir - wie an sehr guten Tagen - in 3000 m Höhe fliegen :

  • Wurzel aus ( Dichte 3000m = 0,847 kg/m3 / Referenzdichte ) = 1,2.

Das beste Gleiten der DG800 wandert von 100 km/h TAS auf 120 km/h TAS. In 1800 m Höhe sind es schon 112 km/h TAS. Wie sich diese Höhenabhängigkeit der optimalen Gleitgeschwindigkeit auf deinen Sollfahrtgeber und auf deinen MacCready-Ring auswirkt, erfährst du hier.

Alex und sein JacquelinchenAls Resumee:

In großen Höhen geht alles hurtiger. Das sieht man ja auch an Klaus Ohlmanns Strecken in den Wellen der argentinischen Anden und auch an den Strecken, die in Namibia meist in großen Höhen der Thermik geflogen werden (als Beispiel Alex Müller und seine ASW22BLE genannt Jaquelinchen, jetzt hat er eine EB29).

 

Eine weitere Randbedingung für die Referenz-Polare wird auch nie (oder höchst selten) explizit genannt: Die Schwerpunktlage.

Die Schwerpunktlage verändert den Gesamtwiderstand des Flugzeuges. Nur dann, wenn bei ausgewogen fliegendem Flugzeug im besten Gleiten Höhenflosse und -ruder genau so in der Strömung liegen, dass das Aufbäummoment des Tragflügelprofils genau ausgeglichen ist, dann und genau dann gilt eigentlich die Polare.

Wenn der Schwerpunkt ein dauerndes Ziehen am Höhenruder erfordert, damit das Flugzeug die Geschwindigkeit des besten Gleitens hält, entsteht übermäßiger Widerstand. Und wenn du dauernd drücken musst, um am besten Gleiten zu bleiben, dann auch.

Der Effekt ist da, ich kann ihn rechnerisch / numerisch nicht angeben. Dazu habe ich zu wenig Ahnung von Aerodynamik. Er ist nicht sehr groß. Trotzdem - oder vielleicht genau deshalb - gibt es eine paradigmatische Diskussion unter Spitzenpiloten, ob sie lieber mit rückwärtigem Schwerpunkt fliegen oder eher mit einem nach vorne verschobenen Schwerpunkt.

Ein nach vorne verschobener Schwerpunkt hat zur Folge, dass der Minimalwiderstand des Flugzeugs sich bei einer höheren Geschwindigkeit als beim besten Gleiten einstellt. Und umgekehrt gilt, dass eine rückwärtige Schwerpunktlage dafür sorgt, dass du beim Kurbeln weniger ziehen musst und deshalb weniger Widerstand am Flugzeug erzeugst.

Ich habe aus Gesprächen mit Walter Schneider  (†, ehemals Chef von LS) und Wolf Lemke (Chefkonstrukteur bei LS) mitgenommen, an meinen Maschinen den Schwerpunkt an den Beginn des hinteren Drittels der Schwerpunktspanne zu legen. Damit bin ich immer gut ausgekommen. Aber ob das das Optimum ist, das weiß ich auch nicht.

 

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