Reichmann : Wer kurbelt, fliegt die Hälfte der Zeit rückwärts.

Wenn du mit einigen Flügen von 300 - 400 km Erfahrung gesammelt hast, weißt du, dass Streckenflüge dem Wetter gemäß in Phasen zerfallen, in denen du hoch und schnell oder niedriger und langsamer und vorsichtiger fliegst. Wünschenwert wäre natürlich nur eine Phase, immer hoch und schnell, aber so ist die Welt (meist) nicht.

Nach einem guten Bart, der dich hoch trägt, fliegst du zuerst schnell und versuchst, Strecke zu machen. Natürlich werden dabei alle tragenden Linien, die du erkennen kannst, "mitgenommen", ausgenutzt. Im leichten Zickzack mit 10° bis maximal 20° Kursabweichung fliegst du zügig nach vorn. Es ist dann nur in Ausnahmefällen (siehe unten) sinnvoll, sofort wieder einen der nächsten Bärte mitzunehmen, denn deine Zentrierzeit für diesen Bart kannst du nur auf einen geringen Höhengewinn verteilen. Deshalb ist es taktisch sinnvoller, erst wieder zu kurbeln, wenn auch genügend Raum bis zur Basis über dir ist.

Solange du noch in der "Schnellflug"-Phase bist, wenn du noch nicht unmittelbar kurbeln willst, dann ist es deine Intension, aus jedem Steigen, jedem Bart die maximale Energie sprich Höhe mitzunehmen. Das geht natürlich dann am besten, wenn du das Zentrum der Thermik genau triffst - oberhalb der halben Basishöhe. Wenn du niedriger bist und die Wolkenbasis alleine nicht mehr als Referenz nehmen kannst, um deinen Flugweg mitten in die Thermik zu steuern, dann musst du dir die tragenden Linien erfliegen. Das ist die hohe Kunst. Manchmal gibt es dafür keine anderen Anhaltspunkte als Erfahrung und die hast du noch nicht.

 

Wenn du niedriger bist und deine Taktik auf Thermiksuchen umstellst, ist es nicht mehr günstig, die Thermik zentral zu treffen. Wenn du geradeaus stumpf auf das Steiggebiet zufliegst, dann vom starken Steigen überrascht wirst, musst du "auf der Stelle" rumdrehen, um im Kern zu bleiben. Abgesehen von den bleibenden Schäden, die du dabei deinem Faden zufügst, brauchst du dazu massive Ruderausschläge ... und die sind immer suboptimal. Natürlich werden auch erfahrene Streckenflieger von solchen Situationen überrascht, aber man kann sie vermeiden.

Offensichtlich ist es einfacher, aus einer schon eingeleiteten Kurve heraus, mit Variation der Schräglage, den Kern eines Bartes zu finden. Wenn du von Anfang an auf das von dir vermutete Gebiet mit Steigen so zufliegst, dass der Kern ziemlich sicher (z.B.) links seitlich vor dir liegt, schneidest du den Bart wahrscheinlich am rechten Rand an und du fliegst eine flache Linkskurve. Dann wird dir dein Flugzeug per Ruderdruck, Flächenhebung und Nasenauswanderung nach rechts deutlich zeigen, wo das Steigen liegt. Solange der Bart nach deinem Empfingen versucht, dich "auszukippen", musst du dich wehren und in die eingeschlagene Kurvenrichtung steiler werden. Kommt dann dann noch eine deutliche Zunahme des Sitzdrucks dazu, kannst du sicher weiter die Schräglage erhöhen und hast eine hohe Wahrscheinlichkeit in Richtung Zentrum zu verbessern. Der Sitzdruck sollte dann gleichmäßig bleiben. Wird er wieder schwächer, hast du das Zentrum am fernen Ende wieder verlassen.

Diese Art des Einfädelns in die Thermik erfordert ein hohes Maß an Verwachsenheit mit dem Flugzeug.

Wenn du mit Ballast fliegst, solltest du nicht so schnell steiler werden. Fliege einen ruhigen Kreis mit 25 - 30° Schräglage und gleichmäßiger Fahrt. Die große Flugzeugmasse wirkt wie ein Staubsauger. Dein Flugzeug nimmt alle Energie auf, auch wenn du nicht dramatisch steil kurvst. Aber - das ruhige Kreisen zeigt dir dann deutlich, wo der Kern des Bartes liegt und du kannst besonnen und gezielt dorthin verlagern. Flatterhafte Zentrierbewegungen kosten mit einem schweren Flugzeug viel Energie.

 

Zwischen diesen beiden Wegen, Thermiken anzufliegen, wirst du flexibel wählen müssen. Bist du im obernen Höhenband bis ca. 60% der Konvektionshöhe, dann fliegst du schnell und nach dem "Triff die Mitte" Muster, weiter unten schaltest du um.

Zeichnet es sich ab, dass du in thermisch schlechteres Gebiet einfliegst, wenn du ein Wolkenloch erahnen kannst, dann solltest du natürlich früher wieder kurbeln, damit du das gute Gebiet mit maximaler Höhe verlassen kannst. Dann drehst du den Ring auf 0,5 und gondelst ganz gemütlich zu den weit entfernten Wolken. Es ist eine besondere Erfahrung, zum ersten Mal zu erleben, wie weit so ein Flugzeug mit einem Gleitwinkel von 1:30 kommt.

 

Klaus Holighaus: "Wo man hingucken kann, kann man auch hinfliegen."

Das hat er zwar auf die Offenen Klasse bezogen, aber du wirst dem sehr nahe kommen.

 

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