KurbelnNehmen wir einmal an, du gehörst NICHT zu den wenigen Masochisten, denen es genügt, sonntags auf den Platz zu kommen, einen Sitzplatz zu annektieren, sich dann auf 900 m schleppen zu lassen, abzugleiten und zu landen.

Dann wirst du schon erkannt haben, dass du einen großen Teil deiner fliegerischen Energie darauf verwenden musst, oben zu bleiben. Da das dauerhafte Segelfliegen auf genau einer Höhe noch nicht erfunden ist, bedeutet das - genauer betrachtet -, du musst wissen, wie man immer wieder Höhe gewinnt oder - im Jargon der Segelflieger - wie man kurbelt.

Leider tun sich viele Jungpiloten ein bisschen schwer damit. Mancher hat halt einen sensiblen Bobbes, dem fällt es leicht. Andere haben permanent Lederhosen an, die tun sich schwer, weil sie kein Gefühl für den Sitzdruck haben. Aber es muss sein, du musst da durch, du musst dir das Gefühl im Hintern aneignen, sonst gehörst du zur oben genannten Minderheit der Gattung

homo sapiens lederhosiensis.

Kurbeln und Kreisen ist zum Einen handwerkliche Arbeit und zum Anderen poetisch schön. Du hast sicher schon den Raubvögeln zugesehen, die sich leicht und elegant ohne einen Flügelschlag - naja, manchmal schummeln die auch ein wenig - aus ein paar Metern Höhe über den Äckern hinauf in den Himmel schrauben, bis sie als Punkte in der Auflösung deiner Augen verschwinden.

So musst du das auch machen (lernen zu tun). Schau den Raubvögeln zu ! Die haben die Flügel von Geburt an und deshalb einen kleinen Vorsprung. Dir müssen die Flügel der Maschine noch an die Schultern wachsen. Wenn du eins wirst mit deiner Kiste, wenn du die Thermik mit dem Flugzeug fühlen kannst und das Vario nur noch zur Rückversicherung brauchst, dann hast du es geschafft.

Wenn du noch Neuling im Segelfliegen bist und dich an das handwerkliche Thermikfliegen heranführen lassen willst, dann möchte ich, dass du dich vorher mit dem Phänomen "Thermik" theoretisch vertraut machst. Diese Informationen findest du hier : Einstrahlung und Albedo und in den dann dort folgenden Kapiteln.

Kreisen im Aufwind beschäftigt dich während eines Streckenfluges zwischen 20% und 60% der Zeit. Eine Zeit, in der du meist hoch konzentriert in deiner Kiste "arbeitest". Es gilt, das Optimum des Steigens zu finden, denn du fliegst ja auf der Stelle, deine Geschwindigkeit über Grund ist, wenn man den Wind außer Acht lässt, gleich Null. Derjenige, der am schnellsten steigt und (das ist ein anderes Kapitel) die besten Linien für Geradeausfliegen findet, wird die größte Reisegeschwindigkeit erreichen und die größten Strecken fliegen - und dann Weltmeister :-).

KurbelnDu musst hoch konzentriert sein, weil dich oft mehrere Dinge gleichzeitig beschäftigen, ablenken, belasten :
Da ist der mentale Stress, weil du tief runter geglitten bist und nun einen optimalen Aufwind brauchst. Dort auf dem Feld könntest du landen, Anflug über diese und jene Ablösepunkte. Plötzlich spürst du Beschleunigung, Steigen. Du beobachtest und hörst das Variometer, du checkst die Fahrt und die Querneigung, du versuchst dir eine Vorstellung zu machen von der räumlichen Anordnung der Thermik, suchst die Verbindungslinie zwischen dem Auslösepunkt am Boden und der Wolke oben. Wie wirkt der Wind auf den Bart ? Wie die Sonne ? Du behältst die Raubvögel im Blick, die eben noch da waren, flugs verlagert haben und nun 50 m höher sind. Denen willst du folgen. Du spürst die Beschleunigungen durch die aufströmende Luft und ertastest den Aufwind. Du überlegst und steuerst deinen Vogel in besseres Steigen in einem selten homogenen Bart. Du beobachtest die Wolkenbildung über dir hinsichtlich Veränderungen. Während du weiter steigst, prüfst du die die Wolkenbildung auf Kurs aus unterschiedlichen Höhenperspektiven und hinsichtlich der Veränderungen über die Zeit und der geplanten Strecke. Du machst dir Gedanken über den richtigen Flugweg und die Geschwindigkeit nach dem späteren Verlassen des Aufwindes. Gleichzeitig bist du immer wachsam wegen anderer Flugzeuge, die dir nahe kommen könnten. Du checkst dein FLARM. Wenn du mit anderen kreist, steuerst du deinen Kreis nicht nur nach dem besten Steigkern, sondern auch so, dass du niemand gefährdest und keiner dich gefährdet. Zur gleichen Zeit erreichen dich Meldungen über Funk und du gibst Antwort. Und dann musst du noch wissen, wo du bist, damit du auch weißt, wo du hin willst. Gleichzeitig wirken von außen Temperatur, Zentrifugalbeschleunigungen und Böigkeit auf dich. Du bist frustriert, weil die Kollegen dir davon geflogen sind, du aber himmelweitweg von zuhause bei nachlassender Thermik in 300 m hängst, weil die Blase drückt, der Rücken schmerzt und die Füße zu Eisklumpen geworden sind.

… Wie? Das ist dir zu viel ? Du liest jetzt nicht mehr weiter und wechselst zu den Motorfliegern? Quatsch !...

Du bist oben, 2000 m Basis, Wolkenreihung auf Kurs, Hochgefühl, grandiose Landschaft, Fahrt 170, dein Vario spielt jetzt „born to be wild“ von Steppenwolf. Schau da unten, da krabbelt einer ganz tief: Der arme Sack ……

Segelfliegen ist ein bisschen wie Achterbahnfahren, du bist physisch und/oder gefühlsmäßig dauernd oben oder unten. Es ist eine ganz andere Art von Anspannung als dein Berufsalltag. Wenn dir Segelfliegen Spaß macht wie mir, dann ist das "positiver" Stress. Es ist wie eine Entschlackungskur. Der Alltag fällt von dir ab, richtig bildlich: Er fällt nach unten von dir weg. Segelflugzeuge haben dafür eine unsichtbare Klappe unter deinem Hintern.

Allerdings: Es ist ein Weg dahin. Aber du kannst es lernen. Ich habe das ja auch geschafft. Es hat viel zu lange gedauert. Deshalb will ich dir helfen, schneller zum Steppenwolf zu kommen.

 

 

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